Die Schweizer Stimme des saudischen Bloggers

Noch selten setzten sich so viele westliche Regierungen für einen politischen Gefangenen ein wie im Fall von Raif Badawi. Was niemand weiss: Die Kampagne wird von der Schweiz aus organisiert.

Er ist einer der bekanntesten politischen Gefangenen weltweit: der 31-jährige Blogger Raif Badawi, den die saudischen Behörden letztes Jahr wegen seiner Website «Saudi-arabische Liberale» zu zehn Jahren Gefängnis und 1000 Stockhieben verurteilt haben. Neben internationalen Menschenrechtsorganisationen setzen sich die Aussenminister Deutschlands, Österreichs, Kanadas oder die EU-Chefdiplomatin Federica Mogherini für ihn ein. Auch EDA-Staatssekretär Yves Rossier sprach das Thema kürzlich bei seinem Besuch in Saudiarabien an.

Was kaum bekannt ist: Die Fäden für diese internationale Kampagne laufen in der Schweiz zusammen, bei der jemenitisch-schweizerischen Politologin und Autorin Elham Manea. Von ihrer Berner Wohnung aus gibt die offizielle Sprecherin Badawis Interviews, erzählt der BBC oder der «Bild»-Zeitung via Skype vom Mut des saudischen Bloggers und seiner Frau, die mit den drei Kindern nach Kanada geflohen ist. Auf Twitter oder Facebook veröffentlicht Manea Nachrichten Badawis – darunter das Video seiner öffentlichen Auspeitschung, das ihr aus Saudiarabien zugespielt worden war. Kürzlich nahm sie für Badawi in Genf einen Preis von 20 Nichtregierungsorganisationen entgegen.

Raif Badawi hatte von der saudischen Hafenstadt Jidda aus eine Website gegründet, auf der er das religiöse Estab­lishment kritisierte und sich für freie Meinungsäusserung einsetzte. «Er stellte Fragen, die sich viele stellen, aber nicht aussprechen», sagt Manea. Zum Beispiel sei es auch darum gegangen, warum die Saudi den Valentinstag nicht feiern dürfen. In Saudiarabien ist eine solche Frage hochpolitisch.

Badawi wurde letztes Jahr schliesslich wegen «Beleidigung des Islam» verurteilt. Anfang Januar erhielt er die ersten 50 Stockschläge. «Würde ich im Jemen leben, hätte mir das auch passieren können», sagt die jemenitisch-schweizerische Doppelbürgerin Manea. Auch sie schreibt über ihre Reformideen für den Islam, über die Geschichten politischer Gefangener oder die Menschenrechte. Am bekanntesten sind Maneas Blogs auf der englischen Website der «Huffington Post» und der arabischen Plattform «Modern Discussion».

Von der Familie engagiert

Es sei auch diese Identifikation, die ihr Engagement antreibe, sagt sie: «Noch nie ist mir ein Fall so nahegegangen.» Sie ist fast jeden Tag mit dem Mann beschäftigt, den sie noch nie persönlich getroffen hat. Die Verbindung zwischen Manea und dem Blogger entstand vor einigen Monaten. Badawis Familie kontaktierte Manea, die in der arabischen Welt als Autorin und Menschenrechtsaktivistin bekannt ist, und bat sie um Hilfe. Manea und Badawis Frau Ensaf Haidar stehen seither in engem Kontakt und koordinieren die Kampagne von der Schweiz und von Kanada aus. Dorthin flüchtete Haidar mit den drei Kindern, nachdem ihr Mann verhaftet worden war.

Die Kampagne ist erfolgreich, weil sie das Internet und die sozialen Medien nutzt und so praktisch ohne finanzielle Mittel Hunderttausende erreichen kann. Zum Beispiel über Badawis Twitter-Konto, das weitergeführt wird. Vor einigen Tagen konnten Manea und Haidar darüber eine gute Nachricht verbreiten: «Heute keine Auspeitschung.» Es sei eine Teamarbeit, sagt Manea. In vielen Ländern gebe es wichtige Unterstützer. Dieses Kontinente umspannende Netz ist eine weitere Erklärung, weshalb die Kampagne für Raif Badawi so viel Aufmerksamkeit erfährt. Von Tausenden anderen Dissidenten in China, Katar, im Sudan oder anderswo erfährt die Öffentlichkeit nie. Auch Badawis Anwalt, den die saudischen Richter mit einer langen Gefängnisstrafe belegten, ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. «Raif ist ein Symbol für den Kampf um Meinungsfreiheit geworden», sagt Manea. Auch deshalb sei er so wichtig.

«Raif Badawi ist ein junger Blogger, ein Familienvater, der das Internet nutzt, um sich zu wehren», sagt Alexandra Karle von der Menschenrechtsorganisation Amnesty Schweiz. Damit könnten sich sehr viele Menschen auf der ganzen Welt identifizieren. Dazu komme, dass er öffentlich bestraft werde – anders als Tausende andere Gewissensgefangene, die in Gefängnissen ohne Zeugen gefoltert würden. «Diese absurd mittelalterlichen, öffentlichen Stockhiebe lösen gerade im Westen eine grosse Solidarität aus», sagt sie. Über die sozialen Medien sei es möglich, dass die ganze Welt zuschaue.

Auch Elham Manea sagt, die öffentlichen Stockhiebe Anfang Januar seien ein Wendepunkt gewesen in der Kampagne.Wie bekannt der saudische Blogger inzwischen ist, zeigt eine kürzlich lancierte Onlinepetition: Innert weniger Tage unterzeichneten über 1,3 Millionen Menschen die Forderung nach der Freilassung Raif Badawis.

Saudi-Justiz unbeeindruckt

Wie es für diesen weitergeht, ist dennoch sehr unsicher. Wohl aufgrund des politischen Drucks vieler westlicher Länder wurde Badawi nach den ersten 50 Stockschlägen vor weiteren lebensgefährlichen Hieben verschont. Doch das saudische Strafgericht denkt offenbar nicht daran, sich von der internationalen Empörung umstimmen zu lassen. Manea und Badawis Familie haben kürzlich neue, beunruhigende Informationen erhalten: Demnach plant das Strafgericht, den Blogger wegen «Abfalls vom Glauben» anzuklagen. Darauf droht schlimmstenfalls die Todesstrafe. Vor einigen Tagen veröffentlichte die saudische Regierung zudem eine Erklärung, in der sie die «Einmischung» der westlichen Staaten zurückwies.

Anja Burg, 14.03.2015 - http://www.derbund.ch/schweiz/standard/Die-Schweizer-Stimme-des-saudischen-Bloggers-/story/17932504

 

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